"Vorwort"
Nach meinem Jahr in Odessa ist diese Stadt einfach immer noch wie meine 2 Heimat. Und so war ich froh dass ich vom 27.4. bis 3.5. wieder in die Ukraine reisen konnte... aber ich hätte Ereignisse, wie die am 2.Mai nicht erwartet.
2. Mai in Odessa
Aufgewacht, Gewitter. Regen. Schade,
heute wohl keine Sonne am Morgen oder?
Es war es ein ganz normaler
Tag, oder sagen wir fast, denn nach nur 5 Tagen in Odessa, war dieser
Freitag mein letzter Urlaubstag dort.
5 ruhige schöne,
frühsommerliche Tage in Odessa, meiner 2. Heimat lagen nun schon
wieder hinter mir. Schade. Doch immer wieder dachte ich daran, wie
man in Deutschland schon seit Wochen von kriegsähnlichen Zuständen
in der Ukraine berichtete und wie ich in den letzten Tagen aber
einfach nur ein fast entspanntes Odessa wieder gefunden habe, in dem
die Menschen die Sonne im Park, in den Cafes und auf den Straßen
genießen, sich ärgern über die Situation im Osten und doch aber
einfach das Hier und Jetzt lebten.
Sollte ich mich darin etwa
getäuscht haben?
Mittag.Endlich hatte ich meine
Freunde davon überzeugt, mich für Souvenirkäufe und einem vorerst
letzten Gang durch die Innenstadt zu begleiten. Es war der 2. Mai,
die Sonne war nun doch raus gekommen, und in der Ukraine feierte man
den Maifeiertag. Blau – Gelbe Fahnen schmückten die meisten Häuser
– ach wie ich Odessa doch liebe.
Auf dem Weg, mit dem Gedanken
nur daran, was ich alles noch kaufen möchte. Bloß nichts
vergessen,... ab und an der wehmütige Gedanke – war die Woche echt
wieder vorbei?Ach, im Sommer komme ich wieder.
Dann, endlich an
der Kathedrale. Glockenspiel erklingt, sie läuten extra für
dich, scherzt mein Freund. Je näher wir kommen, desto mehr Menschen
sehen wir. Wow, ist das voll heut! Ein Mann in Armeejacke läuft
schnellen Schrittes Richtung Toilette. Beim zweiten Blick sehe ich
einen Schlagstock in seinen Händen. Wir verstehen nicht gleich, wen
oder was die Menschen die auf dem Brunnenrand, am Straßenrand, oder
einfach überall auf dem Platz mit ihren Handys filmen. Was ist denn
zu sehen? Langsam kommen wir näher. Ukraine flaggen, und viele
Menschen auf der Straße. Überall. Ach klar, Demos!!! Doch wir sehen
nicht nur immer mehr was Sache ist, sondern wir hören nun auch.
Rufe, für Odessa in der Ukraine. Machtparolen gegen Russland und
Putin. Und ein immer länger werdender nach vorne laufender Strom
Menschen. Dann Knalle. Die führenden im Demo Zug tragen
Pyroleuchten. Und immer mehr fallen mir vermummte Menschen mit
Schlagstöcken auf. Ich bekomme eine Gänsehaut. Was geht hier vor?
Viele um uns scheinen sich das Selbe zu fragen. Wir weichen ein Stück
zurück. Und dann teilt sich auf einmal der Menschenstrom, nach
rechts, nach links. Die Tram und alle Taxis werden angehalten.
Menschen. Schlagstöcke. Wieder ein Knall. Ein Mann kommt auf uns zu
und berichtet von Kalaschnikow. Meint er das ernst? Sind das Schüsse?
Es wird lauter. Alle weichen zurück. Der erste Krankenwagen wird
gefüllt. Die Polizisten dringen vor. Es wird unübersichtlich. Bloß
weg, sagen wir uns, wie viele andere auch. Wieder Schüsse.
Geschäfte
rund um das Zentrum schließen. Menschen warnen sich gegenseitig, am
Telefon, auf der Straße, überall heißt es: Geht nicht ins Zentrum!
Keiner weiß was passieren wird.
Nach einiger Zeit ist die Stadt
erschreckend leer für einen Feiertag. Ein unheimliches Gefühl
begleitet mich. Im Internet liest man von den ersten Toten.
Krankenwagen hört man. Ist das der Krieg? Irgendwann dann ein Anruf
von einem Freund: in der Stadt wurden Barrikaden errichtet. In der
Nähe des Bahnhofs brennt ein Haus. Und immer wieder dieser Unterton:
„Und keiner weiß was noch passieren wird“. Tatsächlich sehen
wir dann Feuerwehren Richtung Bahnhof fahren. Und das, wo ich in
einem Jahr Odessa fast noch nie Feuerweh in der Stadt gesehen
hab.
Wir entschließen uns, den Abend zu Hause zu verbringen. Der
Fernseher läuft den ganzen Abend. Gemeinsam mit meinen
nigerianischen und ukrainischen Freunden sitzen wir immer wieder
gebannt davor. Mir fehlen die Worte. Die Zahl der Toten steigt.
Bilder von Geschehnissen, die fast vor der Tür stattfinden. Wie soll
man sich da fühlen? Noch immer kommen mir Tränen, beim Gedanken
daran. Angst um mich habe ich nicht. Viel mehr Angst um meine Freunde
hier, und das mir so ans Herz gewachsene Land. Diese Nacht schlafen
wir, obwohl ich am Morgen zurückfliege, fast gar nicht. Keiner weiß
, was in der Nacht noch passieren wird und die Bilder von den
Menschen mit Schusswaffen kommen immer wieder auf.
Was ist nur
passiert an diesem Tag? Saß ich am Tag vorher noch mit Freunden
zusammen und habe über die Ukraine, über die Unruhen, über die
Welt geredet, schien es mir doch sehr fremd, dass am nächsten Tag
genau dort Blut vergossen wird.
Wie konnte es dazu kommen? War
Odessa nicht immer als besonders tolerante, friedvolle Stadt bekannt,
in die sich viele Touristen Jahr für Jahr vor dem grauen Alltag
flüchteten? Zählte Odessa nicht immer zu den mehr unpolitischen
Orten des Landes, in dem Pro Ukrainer und Pro Russen schon lange Zeit
zusammen wohnten?
Doch die Zustände um und in der Ukraine haben
terroristischen Mächten in der Stadt an diesem Tag all ihren Ärger,
all ihren Unmut zum Ausdruck bringen lassen. Dabei wurden 46 Menschen
getötet, über 200 Menschen verletzt, und eine ganze Stadt in einen
Schockzustand versetzt. Die Frage was passieren wird ist noch immer
ungeklärt. Die Angst, vor einer Wiederkehr der Gewalt steigt.
Es
ist traurig, was die Politik und die Unzufriedenheit mit den Menschen
macht. Ich denke die meisten Menschen werden diesen 2. Mai in etwa
genauso „normal“ begonnen haben wie ich. Vielleicht wollten
manche Odessiten an diesem Tag Flagge zeigen. Und auch die Menschen
im Ministerium haben das Haus am Morgen sicher wie jeden Tag
verlassen. Kaum jemand hätte gedacht, dass dieser Tag so grausam
enden wird. Familien wurden zerissen, Kinder haben einen Elternteil
verloren. Andere Menschen wurden zu Mördern. Und immer wieder stellt
sich mir die Frage nach dem WARUM?
Ich weiß, dass für viele
Menschen die Ukraine sehr weit weg scheint. Und doch sollten wir
vielleicht alle einmal daran denken, wie gut es uns hier im Frieden
geht. Vielleicht nehmen wir uns einfach mal eine Minute und beten für
einen baldigen Frieden. Auf der Welt.